«Damals haben wir nur vom Horburg gesprochen, Klybeck war etwas anderes»
Sie hat einst ihre Kindheit und ihre Primarschulzeit im nördlichen Kleinbasel verbracht, gegen 60 Jahre ist es her, ihr Vater hat bei der Ciba gearbeitet, sie selber hat dort eine Laborantinnen-Ausbildung angefangen. Sie kann sich noch gut an den Unterschied zwischen Cibanesen und Geigyanern erinnern – und an die verschiedenen Zonen, in die der Lebensraum rund um «die Chemie», in der Wahrnehmung der Ansässigen, eingeteilt war.
©Rhystadt/Christian Platz, Bilder: Andreas Schwald
«Bei uns stinkt es, das war die Wahrheit, es konnte ganz verschieden stinken, je nachdem, was gerade produziert wurde – und regelmässig wehte der Nescafé-Geruch durch die Strassen des Quartiers. Bei uns stinkt es, das wusste die ganze Stadt, doch wir waren darauf auch ein bisschen stolz», erzählt Luisa Bertschinger. Regenbogenfarbenes Rheinwasser, in dem nur einige Leute ab und zu schwimmen gingen, die gemeinhin als Spinner verspottet wurden – und lebensmüde seien sie obendrein. Allgegenwärtig die Mitarbeitenden aus der Farbproduktion, die man «Papageien» nannte, weil sie die Stoffe, mit denen sie arbeiteten, fast nicht komplett abwaschen konnten. Schliesslich waren es recht kritische Produktionsprozesse, welche in einer Art schädliche Substanzen freisetzten, die heute schon lange nicht mehr erlaubt ist, schon gar nicht in unmittelbarer Bevölkerungsnähe. So sah der Alltag im Klybeck der 1950er-, 1960er-, 1970er-Jahre aus – und damals bereits seit Jahrzehnten.
Eine Klasse für sich
Blick Richtung Osten: Über den Blocks des alten Horburg-Quartiers grüsst täglich der Chrischona-Turm.
Die Leute, die hier wohnten und arbeiteten, hatten sich allerdings nicht einfach an diese Dinge gewöhnt. Vielmehr waren sie sogar deswegen hierhergekommen: Sie konnten von einer prosperierenden Zukunftsindustrie profitieren, hatten die besten Sozialleistungen, die besten Pensionskassen der Stadt, erhielten Aktien ihrer Arbeitgeber. In einem gewissen Sinn waren sie eine Klasse für sich.
Und viele von ihnen bekamen die Chance, ins Ausland zu gehen, dort sogar aufzusteigen, oft verbunden mit einem Lebensstil, von dem sie in der Schweiz nur hätten träumen können. Es gab Bedienstete, Chauffeure, grosse Anwesen und regen Austausch mit der Elite ihres Gastlandes, die oft genug aus Vertretern – bekanntermassen – repressiver Systeme bestand. Bei ihren Besuchen in Basel assen sie mit den Kollegen, die am Rheinknie geblieben waren, gemeinsam in der Klybeck-Kantine und erzählten gefragte und bewunderte exotische Anekdoten aus Afrika, Südamerika, Asien. Dies geschah alles in einer Zeit, in der sich die meisten Leute keinerlei derartige Reisen leisten konnten.
Die Bande vom Klybeckstübli und das grüne Wasser
Die Entwicklung des Quartiers ist seit Jahren in vollem Gang, auch ausserhalb des ursprünglichen Werkareals Klybeck.
Luisa Bertschinger berichtet uns von früher, aus der Zeit, in der das Quartier ein Arbeiterquartier im eigentlichen Sinne war: «Mein Vater war ein typischer Kleinbasler der damaligen Zeit, meine Mutter stammte aus Norditalien, ich bin am Wiesenschanzenweg aufgewachsen, direkt gegenüber dem Horburg-Park, der das Zentrum von uns Kindern war, welches wir gegen die Kinder aus anderen Quartierteilen verteidigten. Wir waren die vom Horburg, das Wort Klybeck war für mich nie der Name unseres Stadtteils. Es gab natürlich die gefürchtete Bande vom Klybeckstübli, dem Hauptquartier der Randalierer und Rabauken, dort herrschten raue Sitten. Doch unsere Identität haben wir klar mit dem Horburg verbunden, einem kleinen, in sich geschlossenen Lebensraum, in dem es für den täglichen Bedarf eigentlich alles gab, einem klassischen Arbeiterviertel.»
Es war eine kleine Welt, sagt Luisa Bertschinger. Und sie erzählt weiter: «Das Horburg war für uns aber keineswegs mit der Gegend um den Wiesenplatz gleichzusetzen, wo die Mitarbeiter der BVB wohnten, die damals besonders elegante Uniformen trugen, vor allem die Wagenführer der 6er-Linie, die eine eigene Tracht und in etwa den Status von Jumbo-Jet-Piloten hatten, weil sie den modernsten Tram-Typ durch die Stadt steuerten. Für uns gehörte das nicht mehr zu unserem Quartier. Wir waren Cibanesen, weil mein Vater bei der Ciba arbeitete, wenn er duschte, war das Wasser, das in den Ablauf floss, immer grün, wegen der Substanzen, mit denen er den ganzen Tag arbeitete. Genauso wie die Geigyaner und die Mitarbeiter von Sandoz, zu denen wir eine gewisse Distanz hatten, die wir als fremd empfanden, obwohl sie eigentlich ein Leben führten, das unserem sehr ähnlich war, profitierten wir vom Wohlstand, den die Chemie hierherbrachte. Dazu gehörte natürlich auch der Firmensport mit eigenen Vereinen, der eine ganz wichtige Rolle im sozialen Gefüge spielte. Später habe ich dann selber eine Labor-Lehre bei der Ciba angefangen, da haben wir zum Beispiel Schlafmittel in Tabletten gefüllt, der Staub, der dabei durch die Luft flog, hat uns ganz benommen gemacht. Dank einem Ausbilder, der meine eigentlichen Talente erkannte, habe ich diese Ausbildung dann abgebrochen und an die Kunstgewerbeschule gewechselt.»
Vom Werkladen und den Laternenmalern
Der Horburg-Park, einst ein grosser Stadtfriedhof, war schon in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Seele des Quartiers.
Sehr gut kann sich Luisa Bertschinger an den Ciba-Werkladen erinnern, in dem die Mitarbeitenden der Firma einkaufen konnten. Zu überaus günstigen Preisen, sie bekamen dafür eigene Rabattmarken. Dieser Laden hatte ein Riesensortiment, auch Kolonialwaren, die damals nicht zur selbstverständlichen Angebotspalette der Basler Geschäfte gehörten.
Und es gab noch weitere Vorteile, die heute wohl neudeutsch Fringe Benefits genannt würden. Diese kleine fasnächtliche Anekdote, die uns Frau Bertschinger am Rand erzählte, wollen wir Ihnen zum Schluss noch mit auf den Weg geben. Sie hat die Zeit erlebt, in der die Basler Laternenmaler damit begannen, grossflächig Acrylfarben einzusetzen. Die Ölfarben der Traditionalisten wirkten zwar schön, wurden aber fast nicht trocken. So hatten die meisten Laternenmaler ein Geheimabkommen mit einem Laboranten, der sie – verbotenerweise – mit Farbgranulat belieferte, dessen Ergiebigkeit legendär war: Eine Phiole mit königsblauem Pulver reichte, optimal verdünnt, für etwa fünf Jahre.
Bilder: Andreas Schwald