Das nördliche Kleinbasel, eine wilde Wasserwelt
Vor der Begradigung des Rheins gab das nördliche Kleinbasel ein wildes Bild ab, durchzogen von einem mäandernden Gewebe aus Wasserläufen. Hier spielte die Fischerei die Hauptrolle, eine nie ganz konfliktfreie Angelegenheit übrigens.
©Rhystadt/Christian Platz
Wenn der Hauptstrom aus seinem Bett springt
Lange Zeit war der Rhein ein Wildstrom, zeitweise überflutete er alles, bis weit ins Land hinein – und wenn er sich wieder zurückzog, gab er Flussarme, Bäche, Sümpfe, kleine Inseln preis. Manchmal sprang der Hauptstrom sogar plötzlich in ein anderes Bett, schuf für die anliegenden Menschen eine schwierige Situation. Im nördlichen Kleinbasel bestimmten die Launen des nassen Elemens das Leben. Zumal hier ja noch die Wiese dazukam, welche die Grenze zwischen dem Klybeck und Kleinhüningen markiert. Auch sie war in den alten Zeiten ungezähmt, überschwemmungsträchtig, brachte aber gleichzeitig bereits im Mittelalter – vom Feldberg hinab, durch die Gesteine des Schwarzwalds – das Trinkwasser ins Kleinbasel, wo sie in den Rhein mündet. Im 19. Jahrhundert war sie der Grund dafür, dass sich die Färber an ihren Gestaden ansiedelten.
Die Fischerei und der emblematische Salm
Klar, dass die Fischerei hier das entscheidende Geschäft war, in der wässrigen Zone zwischen dem Kleinbasel und dem Dorf Kleinhüningen, einer eigenständigen Gemeinde, die einen Bürgermeister hatte, der jedoch dem Basler Rat Rechenschaft schuldig war. Deshalb ist der Salm oder Lachs (über das Wort, das diesen Fisch bezeichnet, gibt es immer wieder Diskussionen, die Wahrheit ist: wissenschaftlich betrachtet stehen beide Worte für das gleiche Tier) im nördlichen Kleinbasel emblematisch geworden, ein Wappen, ein Gütesiegel. Der Lachs hat in Basels Geschichte seit dem Altertum seine Spuren hinterlassen. Bis in die Neuzeit hinein war die Lachsfischerei ein gutes Geschäft, strengen Regeln und Gesetzen unterworfen. So war es im frühen 16. Jahrhundert verboten, Lachse mit Kugel oder geerzt zu Fischen. Bei Zuwiderhandlung wurden dem Täter die Augen ausgestochen. Für den Verkauf der Lachse und seiner Rogen gab es zu allen Zeiten strenge Wäge- und Preisvorschriften. Zudem war der Domprobst dazu verpflichtet, seinen Domherren während der Fastenzeit Lachs mit Salz aufzutragen. Die Lachsfischerei war im alten Basel also eine sehr ernsthafte Angelegenheit. Es gab Phasen, in denen der Bürgermeister von Kleinhüningen quasi ein Alleinhandelsprivileg für Lachs hatte, während die von ihm regierten Menschen fast alle in der Fischerei arbeiteten.
Schlägereien, Strassenschlachten
Und ein konfliktträchtiges Metier war diese Fischerei, an der kleinbasler, kleinhüninger, deutsche und französische Protagonistinnen und Protagonisten beteiligt waren. Ein griffiges Beispiel dafür ist die Situation, welche im ersten Drittel des 18. Jahrhunderte herrschte und eskalierte. Im 17. Jahrhundert war die Ortschaft Hüningen, von der sich natürlich auch der Quartiername Kleinhüningen ableitet, in französischen Besitz geraten. Schon damals kam es zwischen französischen und Schweizerischen Fischern regelmässig zu Streit, zu brutalen Schlägereien, bei denen der eine oder andere Kämpfer tot am Flussufer liegen geblieben ist. 1735 eskalierten diese Konflikte. Es gab Strassenschlachten, an denen hunderte von Männern beteiligt waren, die Tote und viele Verletzte forderten. Denn inzwischen mischten sich die baselstädtischen Fischer in die Geschichte ein, sie beanspruchten die Zone an der Wiesemündung nun auch für sich. Mit der Begründung, dass die alte Bannordnung nicht mehr gelte.
Kriegszustand an der Grenze zu Frankreich
1736 hatten die Franzosen die Nase voll. Sie erhoben den Vorwurf, dass Jakob Christoph Frey, Obervogt von Kleinhüningen, und damit ein Beamter der Stadt Basel, mit seinen Leuten an den gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen sei. Zudem habe der Dorftrommler seinen Kübel geschlagen, was das Ganze zu einem militärischen Akt mache. Diese Geschichte war auch deshalb brisant, weil Frey einen grossen Teil seines Einkommens mit dem Fischhandel erzielte, da mischten sich private und politische Interessen ganz ungehemmt. Basel bestritt diese Anschuldigungen zwar, doch Frankreich reagierte rigoros. Am 16. November schnitten die Behörden der grossen Nationen alle Verbindungen zu Basel ab, stellten jeglichen Import und Export ein. Militärische Verbände zogen in den Grenzzonen auf, Baslern wurde die Einreise verboten – und drei Bürger der Stadt am Rheinknie wurden zu Strassburg in den Kerker geworfen. Es herrschte – de facto – Kriegszustand.
Diplomatie bâloise
Für Basel es eine ernste Situation. Der kleine Grenzverkehr stellte auch damals eine der entscheidenden Lebensadern der Stadt dar, dies war wohlgemerkt lange bevor die Rheinschifffahrt ins weiter gelegene Deutschland eine Rolle spielte. Was tun? Im November 1737 schickte der Stadtrat den Obervogt Frey nach Frankreich, in Begleitung des erfahrenen Diplomaten Lukas Schaub, der zwar in britischen Diensten stand, in diesem Fall seiner Heimatstadt Basel jedoch gerne zu Diensten stand. Durch seine Beziehungen erhielten sie eine Audienz beim Kardinal André-Hercule de Fleury, einem wichtigen Minister von König Ludwig XV. Die beiden Basler unterwarfen sich seinem Urteil, schmeichelten dem mächtigen Mann im süsslich-ausschweifenden Stil jener Zeit und beteuerten ihm ihre Unschuld. Der Kardinal entschied zu Basels Gunsten, der Bann wurde aufgehoben – und die Diplomatie bâloise hatte wieder einmal gesiegt.
Die Zähmung der wilden Wasser
Den wilden Rhein zähmen, Schifffahrt bis ans Meer ermöglichen, das war nicht nur in Basel ein lang gehegter Traum. Im frühen 19. Jahrhundert plante der deutsche Ingenieur Johann Gottfried Tulla die Korrektion des Oberrheins von Basel bis Bingen, er leitete auch die Realisierung des Projekts ein. Dessen Ende würde er nicht mehr erleben, ein Wahnsinnsprojekts, das auf Muskelkraft, Schaufeln und Schubkarren setzte, auf Abertausende von Arbeitenden, es dauerte von 1817 bis 1870 und schuf eine völlig neue Ausgangslage. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Bild: Fischer an der Wiesemündung, 17. Jahrhundert, Stich von Matthäus Merian d.Ä.