03.03.2022

Rhystadt-Blog

Eine Verpflegungsmaschine, zugleich ein architektonisches Juwel

Die Klybeck-Kantine wurde anfangs 1968 eröffnet. Damals war sie eine Sensation. Sie konnte am Tag 4000 Mitarbeitende verpflegen, mit minimalen Wartezeiten. Sie war ein Ort des pulsierenden Lebens – und sie ist, auch heute noch, ein architektonisches Werk der Extraklasse.

©Rhystadt/Text: Christian Platz, Bilder: Roland Schmid

Jetzt steht sie an vielen Tagen leer, alles blitzblank geputzt, die Küche auf Abruf bereit. Der Speisesaal im ersten Stock wirkt riesig, wenn niemand da ist. Er erzeugt eine ominöse Stille, in der wohl der Geist von 55 Jahren mitschwingt, aufgeladen von fröhlichen Sprüchen zur Mittagszeit, ernsten Gesprächen über die Tagesarbeit und solchen, wie sie nach oder vor Verhandlungen geführt werden. Riesige Bilder des Schweizer Künstlers Hans Erni (1909 – 2015) prägen die Stimmung in der Kantine, sie zeigen mythologische Gestalten aus der Antike, interpretiert in den 1960er Jahren, diese gestaltgewordenen Naturgewalten lenken den Blick unvermeidlich auf sich. Genauso wie der polierte Chromstahl, die raffinierte Farbwelt der Einrichtung; eine Zeitmaschinen-Erfahrung, «back to the design oft the Sixties».

Eine Reise, zurück zu einer Periode der Designgeschichte, die immer wieder einmal eine Neubelebung erfährt, von der – heute mehr denn je – eine Faszination ausgeht. Zusammen mit der grosszügigen Fensterfront verwandelt sich die leerstehende Klybeck-Kantine beinahe in einen architektonischen Sakralbau, eine Verpflegungskapelle.

Suter & Suter, Architekten, Basel

Aber natürlich war hier einst Leben, jahrzehntelang, Ciba- und (später) Novartis-Mitarbeitende aller Hierarchiestufen trafen sich zum Essen, wobei es für die höheren Chargen und deren Gäste eine Zone gab, die man das «Séparée» nannte. Geplant und gebaut wurde die Klybeck-Kantine vom Architekturbüro Suter & Suter, das in Basel viele Industriebauten umgesetzt hat, zum Beispiel das Lonza-Hochhaus oder den «Rostbalken» am Bahnhof, der heute noch umstritten ist. Genauso umstritten wie es die beiden Architektenbrüder Zeit ihres Wirkens waren (das gehört ja zum Schicksal ihrer Zunft), die in einer satirischen Basler Revue des «Theater Fauteuil» einst folgendermassen besungen wurden: «…und am Noodlebärg kasch glygglig sy und froh, as dr Suter-Suter und dr Markus Diener, none bitzli vo dr Altstadt hän lo stoh.»

Nach grossem Vorbild

Für die Kantine hat sich das Architekturbüro klar den grossen deutsch-amerikanische Meisterarchitekten Ludwig Mies van der Rohe (1886 – 1969) zum Vorbild genommen, der schweres Material mit revolutionärer Leichtigkeit inszenierte. Der Stahlbetonbau von Suter & Suter hat eine schwebende Eleganz, die natürlich darauf zurückzuführen ist, dass dessen Oberschoss um eine halbe Achsendistanz über das Erdgeschoss hinausragt. Dort sind sämtliche Fenster in Anticorodal schwarz eloxiert, und mittels Thermopane-Verglasung ausgeführt, während die Fassaden im ersten Stock aus Grina-Color-Leichtmetallelementen bestehen und in Bronzeton eloxiert sind.

Nach den Massstäben von 1968 war die Klybeck-Kantine fast schon Science Fiction, ein Bauwerk jedenfalls, auf der Höhe der Zeit. So wurde beispielsweise, um die Aufheizung des gegen Süden und Westen orientierten Speisesaales und die Belästigung der Essenden durch die Sonne zu reduzieren, eine Verglasung mit «Stop-Ray»-Verbundglas gewählt, welches einen grossen Teil der einfallenden Infrarotstrahlen reflektiert. Ausgesuchte Materialien dämpften im Innenraum den Schall, eine Lüftung auf dem vordersten Stand der damaligen Zeit sorgte dafür, dass die vielen unterschiedlichen Essengerüche nicht zur Belästigung wurden. Die Architekturmagazine waren nach der Eröffnung des Baus anfangs 1968 begeistert und sparten in ihrer Berichterstattung nicht mit Superlativen, das Heft «Bauen und Wohnen» attestierte Ciba-Kantine in jeglicher Hinsicht «einen beachtlichen Fortschritt».

Zukunftsmodell, Marke 68

Doch nicht nur Architektur und Ausstattung waren von diesem futuristischen Charakter durchzogen, auch die Essenzubereitung und die Personenhydraulik – also die Regulierung der Personenströme in einem Gebäude, die im besten Fall ganz diskret vonstatten geht, im schlechtesten Fall hingegen so stockend wie zurzeit am Basler Bahnhof SBB – der Klybeck-Kantine wollten zukunftsweisend sein. 1968 hatten die Ciba-Werke etwas 7000 Mitarbeitende, die Kantine war auf die tägliche Bewirtung von 4000 Personen ausgelegt, wobei es am Anfang deutlich weniger waren.

Bei der Planung des Gebäudes wurden soziologische Erkenntnisse, Zeitmanagement und Publikumsaufkommen einbezogen, die Mitarbeitenden sollten in der kurzen Mittagpause das maximale Verpflegungs- und Entspannungserlebnis haben, ohne langes Anstehen, ohne Wartezeiten. Die alles wurde bei der Raumplanung berücksichtigt, mittels komplexer Kalkulationen – und es hat bestens funktioniert. Durch Rationalisierung der Abläufe in der Küche und hinter dem Buffet war es möglich, alle drei Sekunden gleich mehrere fertig proportionierte Essen ab Fliessbändern abzugeben. Dabei gab es eine grosse Auswahl an Menus, vom währschaften Zmittag bis hin zum – intern so genannten – frugalen «Affenteller», die gesunde Variante mit Müesli und Bananen.  Dies alles war damals eine Neuheit, normalerweise schöpften Kantinengäste die einzelnen Komponenten ihres Essens aus grossen Töpfen, die am Buffet bereitstanden. Die Ciba setzte hingegen auf Service ab Fliessband – Ende der 1960er Jahre ein bewundertes Zukunftsmodell.

Abgewandert

Natürlich wandelte sich das Angebot der Kantine im Lauf der Jahrzehnte, kulinarische und ernährungswissenschaftliche Trends kamen und gingen, dabei blieb sie stets vibrierendes Zentrum einer vielschichten Arbeitswelt. Doch dann ging ihr ganz einfach ein grosser Teil des Stammpublikums aus, durch Wegzug der Industrie. Heute liegt sie in vielen Stunden still da und harrt der Zeiten, die da kommen mögen.