Es stank ungeheuerlich, deshalb wurde es vor die Stadttore verbannt
Das heutige Klybeck-Quartier lag noch Mitte des 19. Jahrhunderts klar ausserhalb der damaligen Stadt, das können wir uns heute fast nicht mehr vorstellen. Doch die menschliche Wahrnehmung einer Stadt als Einheit wächst halt gemeinsam mit dem Stadtkörper. 1864 durfte ein chemischer Prozess, der wegen seiner Gefährlichkeit, Giftbelastung und seines Gestanks an der dicht bewohnten Rebgasse nicht mehr geduldet werden konnte, einfach an die Klybeckstrasse verlegt werden. «Vor die Tore der Stadt», dachte man damals. «Aus den Augen, aus dem Sinn.»
©Rhystadt/Christian Platz, Bilder: Roland Schmid
Nachtkerzengewächse
«Gerade mal fünf Tramstationen weiter», können wir heute sagen. Die Industrie, die damals entstand, sollte ab den 1920er-Jahren zum wirtschaftlichen Schwerpunkt der Stadt Basel werden. Doch am Anfang – in der Zeit, als das Klybeck von der ländlichen Idylle zum Fabrikstandort mutierte – stand da ein Farbstoff, der (ausgerechnet) nach einer Blüte benannt war. Die Farbe Magenta, aus rot und blau gemischt, auch als helles Purpur bezeichnet, erinnert an die Blüten der Fuchsie, einer artenreichen Gattung aus der Familie der Nachtkerzengewächse, die aus Amerika stammt und als Zierpflanze wohl weltweit beliebt ist.
Nach dieser Pflanze wurde der synthetische Farbstoff Fuchsin benannt, der Mitte der 1850er-Jahre gleich von drei Chemikern in drei Ländern entdeckt wurde. Fuchsin war der zweite jener Teerfarbstoffe, auch Anilinfarbstoffe genannt, die industriell in hoher Frequenz hergestellt werden konnten. Anilinfarbstoffe wurden zunächst zur Färbung von Seide gebraucht, alsbald aber auch für andere Naturfasern, beispielsweise Baumwolle. Später dienten sie auch zur Färbung von Papier und sogar von Lebensmitteln.
Doch die Herstellung des Fuchsins benötigte ein Arsenikverfahren, das einen ungeheuren Gestank freisetzte, die Umwelt und das Grundwasser mit Gift belastete.
Als die Schornsteine blühten
Und genau das wollte man 1864 man an der Rebgasse nicht mehr haben – deshalb wurde die Produktion ins Klybeck verschoben, auf die grüne Wiese, wie man heute sagt, wo dann alsbald die Schornsteine blühten. Der Aufbruch der neuen chemischen Industrie in Basel spielte sich also zunächst innerhalb der Stadt ab – und dann bald schon gegenüber, im St. Johann Quartier, bevor sie sich rheinaufwärts bewegte.
Hundert Jahre später hatten die Basler Chemie- und Pharmafirmen, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu entstehen begannen, Standorte auf der ganzen Welt. Doch auf die Gründerzeit folgte natürlich erst ein langer, abenteuerlicher historischer Prozess, der von unerbittlichen Konkurrenzkämpfen, von Übernahmen, Verkäufen, Fusionen, Gelegenheiten und Schicksalsschlägen geprägt war.
Goldgräber-Stimmung im Quartier
Aus dem Elsass waren die ersten industriellen Färber nach Basel gekommen. Es gab Unternehmen mit Namen wie Huguenin-Koechlin aus Mülhausen oder der Industrielle Alexander Clavel aus Lyon, der seine – weiter oben erwähnte – Fuchsin-Fabrik von der Rebgasse ins Klybeck zügeln musste, weil es auch schon im 19. Jahrhundert Umweltverordnungen gab. In den 1870er-Jahren floss dann gleich noch mehr Kapital aus dem Elsass nach Basel, da Frankreich nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870 – 1871) enorm geschwächt war.
Clavel war der Erste, der Fuchsin in Basel industriell herstellte, seinen Betrieb an der Rebgasse hatte er 1859 gegründet. Als er fünf Jahre später ins Klybeck wechseln musste, baute er seine Fabrik gleich neben jene von Armand Gerber, der hier bereits seit einigen Monaten Teerfarben produzierte.
Gleichzeitig baute Alexander Preiswerk seine Guano-Fabrik, auf dem Gelände des heutigen Werkareals 3. Es herrschte also Goldgräber-Stimmung im Quartier. 1873 verkaufte Clavel seine Fabrik an die neugegründete Bindschedler & Busch, die 1884 in die Gesellschaft für chemische Industrie Basel Ciba AG umgewandelt wurde.
So flossen sie allmählich zusammen, jene Kräfte, die das Schicksal des Klybeck-Quartiers bis zum Ende des 20. Jahrhunderts definieren sollten. Sie bilden den Anfang einer Geschichte, die grossen wirtschaftlichen Gewinn erzeugte und gleichzeitig die Umwelt, die Natur, das Wasser, die Menschen massiven Belastungen aussetzte. Es ist ein Erbe, dem man sich auch heute noch gegenüber sieht und mit dem es umsichtig aufzuräumen gilt, um in eine neue Zukunft zu schreiten.
Fotos: Werkareal 3