11.05.2022

Rhystadt-Blog

«Neugestaltung muss immer auch Lernprozess sein»

Am Montag, 9. Mai, ist der zweite Salon Basel Next über die Bühne gegangen, natürlich im Klybeck-Quartier, genauer im Gebäude WKL-430, das über ein grossartiges Auditorium verfügt. Der Anlass war sehr gut besucht, die Diskussionsrunde über die Transformation von Stadtvierteln und Recycling in Bauprozessen gestaltete sich hochinteressant.

©Rhystadt/Christian Platz, Bilder: Markus Schneeberger

Als Christian Mutschler den Impulsreferenten des Abends vorstellte, sparte er nicht mit Superlativen. Schon wenige Minuten nach Start der Präsentation des Architekten Kristian Skovbakke Villadsen, Partner und Direktor bei Gehl Architects, einer dänischen Firma, die in vielen Ländern Stadtteile entwickelte und transformierte, war klar, dass der CEO von Rhystadt keineswegs übertrieben hatte.

Substantiell und profund

Um es vorwegzunehmen, alle Gäste, die an diesem Anlass unter der Leitung von Dieter Kohler auf der Bühne waren, konnten substanzielle und profunde Aussagen zu den Themen Stadteiltransformation und Recycling machen. Denn es handelt sich um Leute, die solche Prozesse aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten und bearbeiten. Nebst Villadsen sassen auf dem Podium: Luca Urgese, Grossrat und Vize-Präsident Spezialkommission Klima, der über grosse Erfahrung bezüglich politischer Prozesse rund um Bauprojekte verfügt, Susanne Vécsey, Professorin für Entwurf und Konstruktion FHNW, die mit ihren Studenten zusammen in diesen Bereichen forscht und konzipiert sowie Pascal Zimmermann, Bereichsleiter Nordwest, Eberhard Bau, Eberhard Recycling AG, der beruflich seit Jahren an grossen Bauprojekten beteiligt ist und viele Trends und politische Wetterlagen erlebt hat.

Nachhaltigkeit, Schonung von Ressourcen

Das Team von Gehl hat in über 300 Städten in über 50 Ländern gewirkt, im Rahmen ganz unterschiedlicher politischer Systeme, hat Industrieareale oder alte Hafenanlagen transformiert, städtebauliche Situationen aufgemischt, neu gemischt, mit einer Philosophie, die auf dem Gedanken einer «Soft City» basiert, einer Städtesituation, die eine gewisse Flexibilität aufweist, immer verbunden mit Nachhaltigkeit und Schonung der Ressourcen. Die Leute von Gehl, das wird schnell klar, befragen und untersuchen einen Ort intensiv, bevor sie aktiv werden. Da wird keineswegs mit starren Konzepten gearbeitet.

«Warum transformieren wir»

Villadsen: «Wie sieht die Wirkung einer Veränderung aus, was macht sie mit den Leuten, ist die Transformation nachhaltig, was braucht ein Stadtteil am Tag, warum transformieren wir, wie können wir die Nachbarschaft in den Prozess einbeziehen? Das sind die ersten Fragen, die im Zentrum eines Transformationsprozesses stehen. Wir befragen aber auch die Geschichte eines Ortes, die wir respektieren, gleichzeitig fügen wir neue Puzzlesteine hinzu. Die Verbindung zwischen Wohnen, Arbeiten, Freizeit, das Aktivieren geschlossener Areale, dies sind natürlich alles verbundene Bereiche. Die wichtigste Frage bei einem derartigen Transformationsprozess – was für eine Situation wollen wir erhalten? Die Antwort kann dabei nur aus einem intensiven Lernprozess hervorgehen, eine Neugestaltung muss immer auch ein Lernprozess sein. Natürlich ist es immer eine Option, das Material aus Gebäuden, die im Rahmen einer Transformation Rückgebaut werden, wiederzuverwenden.» Begleitend zeigt Villadsen beeindruckende Bilder von Gehl-Projekten aus Shanghai und dem Norden Europas. Eine zwanzigminütige Tour d’horizon, die es in sich hat.

Teure Hollywood-Fassaden

Pascal Zimmermann kennt sich aus mit der Transformation von Arealen – und er begrüsst den Trend, der sich auch in der Politik manifestiert, hin zum Recycling von Baumaterialien: «Das ist ein sehr interessanter Ansatz, über den früher kaum nachdacht wurde. Bezüglich der Wiederverwendung von Baumaterial haben wir grosse Fortschritte gemacht, fast nichts ist unmöglich. Aber wenn ein Areal stark mit Schadstoffen belastet ist, kann es teuer werden. Dann stellt sich die Frage, ob Wiederverwendung wirklich Sinn macht. Gerade auch wegen des psychologischen Faktors. Wer will in einer Wohnung leben, deren Wände jahrzehntelang Chemikalien ausgesetzt waren? Wenn man den Charakter eines Areals trotzdem erhalten will, bleibt immer noch die Lösung mit Hollywood-Fassaden. Man lässt nur die Fassade stehen und baut alle hintendran neu. Dafür gibt es sehr schöne Beispiele. Dieses Vorgehen ist allerdings oft sehr teuer.» Auf die Frage aus dem Publikum, wie viel Material aus den Klybeck Industrie beständen denn wiederverwendet werden könne, antwortet Zimmermann mit einer erstaunlich hohen und konkreten Zahl: «70 bis 80 Prozent.»

«Intelligenter Dialog mit der Umgebung»

Susanne Vécsey hat dies mit ihren Studierenden durchgespielt. Sie haben Gebäude auf dem Klybeck-Areal analysiert und konkrete Vorschläge zur Wiederverwendung von Material ausgearbeitet. Dabei sind sehr frische, interessante Vorschläge herausgekommen: «Wir haben die Gebäude in ihre Einzelteile zerlegt und einen exakten Katalog der Bauteile erstellt, dabei war alles interessant, Tore, Fassadenteile und so weiter. Aus diesem Katalog haben die Studierenden dann neue Gebäude entworfen, teilweise kleine Ergänzungen, etwa eine Café Bar oder ein Springbrunnen aus recycelten Sprinkleranlagen, aber auch die Umnutzungen eines ganzes Hochregallagers waren unter den Arbeiten, die durch einen Teilrückbau möglich werden.» Es gehe hier um eine neue Philosophie des nachhaltigen Bauens, die auf der Schonung von Ressourcen sowie auf sinnvoller Wiederverwertung beruhe, man müsse in einen «intelligenten Dialog mit der Umgebung» eintreten.

Rechtfertigungszwang

Auch Luca Urgeses Voten zeigen, dass diese Botschaft längst auch in der Basler Politik angekommen ist: «Wenn die Stadt baut, wird der Recycling-Gedanke, gerade auch, was Beton anbelangt, natürlich vorgelebt. Private werden dazu ermutigt, wenn möglich nicht abzubrechen, nachhaltig zu bauen und Material wiederzuverwenden. Wer abreissen will, ist heute einem zunehmenden Rechtfertigungszwang gegenüber Regierung und Bevölkerung ausgesetzt.» Städteplanung und Städtebau seien in den letzten Jahren immer stärker politisiert worden. Was am Ende der Diskussion klar ist: Die Transformation des Klybeck-Areals steht immer noch in der Phase des intensiven Lernprozesses – und das ist auch gut so, denn der Zeitrahmen des Projekts, es wird Jahrzehnte dauern, verlangt intensives Lernen, bevor sich konkrete Planungen herauskristallisieren können.