Über hundert Jahre lang eine dauernde Bedrohung Basels
Das Klybeck unter Kanonenbeschuss? Das war lange Zeit eine reale Gefahr, die dem Norden von Basel sogar bis kurz vor dessen Industrialisierung drohte. Ein Blick in die Geschichte der Festung Hüningen bringt auch Bemerkenswertes über die Stadt Basel und ihre damaligen Verhältnisse hervor.
Als die Festung Hüningen im August 1815 zum letzten Mal gestürmt wurde, da nahmen ihre Kanonen Basel unter Beschuss, schliesslich befanden sich unter den Angreifern auch Schweizer Truppen. Besonders betroffen waren natürlich das Fischerdorf Kleinhüningen sowie jener andere Teil des nördlichen Kleinbasels, das Klybeck, welches sich dann 50 Jahre später zum Basler Industriestandort entwickeln sollte. Denn die Festung lag ja gleich gegenüber, auf der linken Rheinseite. Doch sogar das St. Johann wurde von schwerer Artillerie beschossen. Zwei vorgelagerte Bauten, eine Sternschanze und ein Marschkuliturm, waren auf der Rheininsel installiert, ganz nahe an der Stadt Basel. Seit dem späten 17. Jahrhundert hatten sich die Bürger der Stadt von dem martialischen Wehrbau im Elsass bedroht gefühlt.
Zankapfel auf der linken Rheinseite
Viele Jahre lang war Hüningen ein Zankapfel, die Basler beanspruchten den Ort für sich, dasselbe taten jedoch auch die Habsburger. Am Ende des Dreissigjährigen Kriegs ging das Elsass an Frankreich über. Gerade mal 30 Jahre später, im Jahr 1679, mussten die neuen Besitzer das Alsace aber bereits gegen mehrere Kaiserliche Armeen aus dem Ausland verteidigen, denn der Holländische Krieg erschütterte grosse Teile Europas. Ganz nahe an Basels Befestigungsmauern, die Stadt wurde ja erst ab 1860 entfestigt, wurde also gekämpft, was die Bürgerinnen und Bürger natürlich in grosse Sorge versetzte und wieder einmal viele Handelswege unsicher machte oder ganz blockierte, zu Wasser und zu Land. Die Franzosen reagierten mit dem Bau einer massiven Festung auf die Angriffe, die ihre strategische Position am Rhein künftig sichern sollte.
Auf ein Dementi folgen sogleich die Bauarbeiten
Schon seit einiger Zeit hatten in Basel Gerüchte kursiert, die besagten, dass die Franzosen am Rhein eine grosse militärische Anlage mit einer ständigen Besatzung planen würden. Im Sommer 1679 nahm eine Basler Delegation in dieser Sache Kontakt mit dem französischen Kriegsminister François Michel Le Tellier auf. Er versicherte den Ratsmännern, dass kein Festungsbau geplant sei. In Wirklichkeit besorgte sein Amt bereits Baumaterial. Am 11. Oktober 1679 wurde mit den Aushubarbeiten begonnen, obwohl sich inzwischen eine Delegation des Bundes eingeschaltet hatte, um die Franzosen von ihren Plänen abzubringen. Vergeblich. Es war kein geringerer als der berühmte königliche – man hatte es damals mit Ludwig XIV zu tun, dem «Sonnenkönig» – Baumeister, Feldherr und Wissenschaftler Sébastien le Prestre, Marquis de Vauban, der die Festung plante. Und er baute ein echtes militärisches Stachelschwein.
Wehrmauern hinter tiefen Gräben
Die Festung konnte von 1200 Leuten bewohnt, in vorgelagerten Kasernen konnten 5000 Soldaten untergebracht werden. Tiefe Gräben, mit abgeleitetem Rheinwasser gefüllt, umgaben die Wehrmauern des trotzigen Bauwerks. Ausserhalb des Grabens standen zwei bewehrte Hornwerke, eins Richtung Süden, das andere nordwärts. Der Kern der Festung hatte die Form eines Pentagons, bestückt mit fünf Wehrbastionen. In den Mauern gab es ein Spital, ein Zeughaus und eine Kirche. Auch die Rheininsel direkt vor Basel war bewehrt. Nicht gerade eine angenehme Nachbarschaft. Dem Festungsbau musste übrigens eine ganze Ortschaft weichen, das Fischerdorf Gross-Hüningen nämlich, quasi die grosse Schwester von Kleinhüningen, die Bevölkerung wurde nach Neuwiler zwangsumgesiedelt.
Ein Kriegsmagnet
Bereits 1697 im Rahmen des Friedens von Rijswik, zwischen dem Römischen Reich und Frankreich geschlossen und per Vertrag besiegelt, erreichte eine Schweizer Delegation einen Teilerfolg. Angetreten war sie, um die Schleifung der Festung Hüningen zu fordern. Abgerissen wurden aber nur die Vorwerke auf der Schusterinsel und der Brückenkopf, welche die rechte Rheinseite am akutesten (und am frechsten) bedrohten. Doch für die Festung Hüningen trat keine Ruhe ein, sie war – wegen ihrer strategisch bedeutenden Lage – eben ein regelrechtes Kriegsmagnet. Sie spielte in den Erbfolgekriegen eine Rolle, im Ersten Koalitionskrieg und schon sind wir bei Napoleon, dem kriegsführenden Kaiser, der Europa erschütterte und veränderte (und am 24. November 1779 ganz kurz in Basel zum Diner abgestiegen war). Mit seinem Fall fiel auch die Festung Hüningen.
Schicksalsjahr für Kaiser und Festung
Am 22. Juni 1815 hatte Napoleon in Paris abgedankt, nach der Niederlage von Waterloo war seine Position endgültig unhaltbar geworden. Im Dezember dieses Jahres wurde er nach St. Helena in die zweite Verbannung geschickt, wo er noch sechs bittere Jahre lang lebte. Es war aber am 25. Juni dieses Schicksalsjahrs 1815 als in Hüningen die Botschaft vom Rücktritt des Kaisers eintraf. Zwei Tage später bildeten Österreichische und Schweizerische Truppen eine Belagerungsring um die Festung, in der an die 2400 Soldaten untergebracht waren, die über hundert massive Artilleriegeschütze verfügten. Artillerieduelle waren an der Tagesordnung. Das Belagerungskorps war 17000 Mann stark und verfügte über 140 grosse Kanonen. Am 17. August griff der Truppenverband die Festung an. Die Kämpfe, in deren Verlauf an die 400 französische Soldaten desertierten, dauerten, mit einer kurzen Pause, bis zum 26. August. Im Verlauf der Gefechte wurden mehrere Basler Quartiere von der Festung aus beschossen. Bereits am 31. August begannen die Sieger mit der Zerstörung des verhassten Bauwerks. Am 15. Oktober begann die Schleifung, alle Aufräumarbeiten inbegriffen dauerte sie bis zum Mai 2017. Zehntausend Arbeiter wurden für den Rückbau benötigt, die Schweiz stellte dafür 515 Zentner Sprengstoff zur Verfügung. Für Basel war die Sprengung ein Freudenfeuerwerk, der Drache an der Grenze war gefallen, der Speer des Heiligen Georg hatte den Drachen an der Grenze besiegt.
Bild: Radierung, auf Grundlage einer Zeichnung von Emanuel Büchel (1705 – 1775)